“Rebels of the Neon God” ist ein Kleinganoven Neonlicht-Märchen, das die Geschichte um Tsai Ming-liangs Antoine Doinel, Lee Kang-shen/Hsaio-kang weiter treibt und dabei einen jugendhaften Charme irgendwo zwischen Martin Scorsese und „Chungking Express“ von Wong Kar-wai versprüht. Die Auseinandersetzung mit einer entfremdeten Jugend markiert den ersten Schritt des Regisseurs hin zu einem sinnlichen Formalismus, der seine späteren Werke prägen wird. Fast als ein Portrait der Jugend an sich mag man dieses ziellose Herumhängen zwischen den Spielautomaten (Neon Gods) betrachten, eine Gleichgültigkeit entfaltet sich, die Hsiao-kang dazu verleitet einen etwa gleichaltrigen Rebell zu stalken. Das alles führt in Gewalt. Es ist daher auch keine Besonderheit, dass Lee Kang-sheng in einem Bild, vor einem Poster von James Dean zu sehen ist. Zwar hat Nick Pinkerton, als er die Nicholas Ray Züge bei Tsai Ming-liang unter die Lupe nahm zurecht davon gesprochen, dass Hsiao-kang mehr dem Sal Mineo Charakter aus „Rebel without a cause“ entspricht als jenem von Dean, aber dennoch trifft der Kern des Films jenes leidende durch das Leben Torkeln, für das James Dean noch heute steht.
So hängen die Zigaretten aus den offenen Mündern, die Lederjacken werden zurechtgerückt und Blicke voller Neugier, Scham und Verachtung werden geworfen. Der Regisseur selbst betrachtet seine Figuren aber als Humanist und damit geht er auf derselben Linie wie sein offensichtliches Vorbild François Truffaut. Er umarmt die Schwächen und Brutalitäten seiner Figuren, er blickt auf ein Außenseiterdasein als Sympathisant. Die Vergleiche, die zwischen Tsai Ming-liang und Michelangelo Antonioni (auch von mir) bemüht werden, sind daher größtenteils haltlos. Denn dort wo Antonioni den Blick seiner Figuren übernimmt, ihre Entfremdung als Teil seiner filmischen und ihrer Weltsicht umsetzt und die Bilder als innere Bilder (fast gleich eines durchgehenden POVs) seiner Figuren auf die Leinwand malt, da ist Tsai Ming-liang ein dritter Beobachter von menschlichen Umgebungen, der portraitiert statt eindringt und dessen Entfremdung nie in seinen Bildern von Menschen ankommt, da dort immer Sinnlichkeit und Gefühl herrscht. Einzig in der fremden Architektur finden sich Parallelen, allerdings ist der Blick von Tsai Ming-liang auf seine Stadt immer ein allgemeiner, während der von Antonioni von seinen spezifischen Figuren ausgeht.Das bedeutet nicht, dass die städtische Entfremdung bei Tsai Ming-liang nicht auch von seinen Charakteren erlebt wird. Allerdings schreibt er in seine Filme das Bild einer Entfremdung auf der Haut seiner Figuren ein, während Antonioni die nackte Entfremdung zeigt.
Auffällig ist, dass es ein komponiertes musikalisches Thema gibt. Verwendet Tsai Ming-liang sonst gar keine („The River“), diegetische („I don’t want to sleep alone“) oder verfremdete („The Hole“) Musik, so probiert er sich hier an einem klassischen Stimmungsscore. Dieser trägt viel zur Neon-Fuck-You Stimmung dieser Pop-Poesie bei. Sein Drehbuch wirkt deutlich forcierter. Die Szenen sind alle wie ein Teil einer großen Idee, fast ein moralischer Impetus unterliegt dem Märchen voller Kleinkriminalität. Die Ellipsen anderer Filme des Regisseurs gibt es hier kaum. Einzig in der Beziehung zu seinen Eltern, die ja über zahlreiche Filme weiter erforscht wird, findet er zu der Tiefe, die man von ihm gewohnt ist. Die Eltern selbst leben in einer Mischung aus Wut, Angst, Verzweiflung und Zuneigung zu ihrem Sohn. Wie auch in „The River“ und „What time is it there?” wird der buddhistische Glaube in ein absurdes Extrem geführt. Diesmal glaubt die Mutter, dass ihr Sohn ein wiedergeborener Prinz ist. In einer stillen Autofahrt mit Vater und Sohn wird eine Nähe erzählt, die mit Worten nicht möglich wäre.
Zwischen alldem leuchten die Neonlichter und poetische Scooterboys driften durch urbane Gassen, das Wasser hängt in der feuchten Luft, dringt selbstverständlich auch in Wohnungen ein, fast losgelöst vom Leben bewegt sich hier eine Ästhetik durch eine Welt, die frisch und jugendlich wirkt, aber schon jene melancholischen Narben verzeichnet, die sich immer tiefer in die Wahrnehmung von Tsai Ming-liang einprägen werden. Seine Perspektivwechsel tragen die Atmosphäre auf höhere Ebenen. So bleibt er eine Weile bei der jungen Frau, die eine Beziehung zum Kleinganoven hat. Sie arbeitet an einer Eislaufstrecke, wirkt ziellos und ein wenig nymphoman. Bei ihr vollzieht sich die jugendliche Irritation in einer sexuellen Lust, die sich durch den ganzen Film zieht. Bei Hsiao-kang ist diese Lust selbst bezüglich des Geschlechts unentschieden. Es ist eine Neugier in diesem Film, die abgelassen werden muss und dazu werden unterschiedlichste Kanäle gefunden. Keiner aber führt zu Glück oder Erfüllung. „Rebels of the Neon God“ lässt einen dieses Verlangen nachempfinden, weil er sich nicht über seine jugendlichen Protagonisten stellt, sondern mit ihnen schwimmt.