Der Kurzfilm „The Skywalk is Gone“ erzählt schon in seinem Titel vom verlorenen Verlangen, das dieser Kurzfilm beschreibt. Wenn es einen Brückenfilm gibt, dann ist es dieser Film, der zeitlich zwischen „What time is it there?“ und „The Wayward Cloud“ angesiedelt ist, also eine Brücke zwischen den beiden Filmen schlägt. Er tut dies, indem er das Fehlen einer Brücke thematisiert.
Dabei kehrt Shiang-chyi, die wir zuletzt schlafend und einsam in Paris gesehen hatten zurück nach Taipeh. Doch der Skywalk, auf dem sie den Uhrenverkäufer Hsiao-kang kennenlernte, existiert nicht mehr. Stattdessen steht sie verloren vor der Modernität riesiger Bildschirme und Werbetafeln. Tsai Ming-laing framed sie fast wie seinen langsam gehenden Mönch aus der Walker-Reihe als ein Individuum, das nicht mit der Welt mitgeht, sondern nur wie zufällig in ihr steht. Es vollzieht sich eine entfremdete Reise durch eine anders gewordene Stadt voller kleiner Momente und Absurditäten für die junge Frau. Dabei steht die Urbanisierung und Modernisierung von Taipeh im Zentrum. Wie so vieles bei Tsai Ming-liang basiert auch diese scheinbar symbolische Geschichte schlicht auf wahren Gegebenheiten, da der Skywalk nach dem Dreh von „What time is it there?“ tatsächlich abgerissen wurde. Die Bewohner der Stadt müssen sich inzwischen mit der Rationierung von Wasser herumschlagen, so auch Hsiao-kang, der vergeblich auf Wasser aus dem Wasserhahn wartet. Alles wird geregelt und normiert. Einmal begeht Shiang-chyi den Fehler, die Straße an einer nicht vorgesehenen Stelle zu überqueren. Zusammen mit einer anderen Frau und dem mysteriösen Koffer, der in der Trilogie immer wieder auftaucht, wird sie von einem Polizisten angehalten. Dabei verliert sie ihren Ausweis lange nachdem sie ihre Identität nicht wiedergefunden hat. Man hat das Gefühl, dass diese Frau nicht nur nach sich selbst sucht, sondern auch nach ihrem Verlangen. Die Schwierigkeiten mit dem Gefühl in der verschwindenden Stadt, an deren Horizont schon wieder eine Anarchie wartet, die sich nicht wie in „The Hole“ als Taiwan Fever, sondern als anhaltende Dürre entpuppen wird, sind omnipräsent.
Den wirklich tragischen Moment hebt sich der Film aber auf, denn später werden die beiden Protagonisten aneinander vorbeigehen. Hier erreicht die Art of Almost von Tsai Ming-liang einen überraschend wenig subtilen, aber dramatischen Höhepunkt. Hsiao-kang bleibt lange stehen nachdem er und Shiang-chyi auf einer Treppe im Untergrund aneinander vorrübergingen. Die Treppe erinnert an jene aus „The Journey to the West“, die sich der Walker-Mönch herunterkämpft unter den verwunderten Blicken der passierenden Menschen. Es ist eine Treppe, die zwei getrennte Welten anzeigt. Hsaio-kang scheint sich nicht sicher nachdem Shiang-chyi an ihm vorbeiläuft.Er steht, passiv und schüchtern wie man ihn kennt, hat er sie erkannt? Alles, was diese Figuren gesucht haben, haben sie nicht erkannt, als sie es gefunden hatten. Später wird er seine Karriere in der Pornoindustrie beginnen und eine eigenartige Wolke schiebt sich am Himmel vorwärts, sie wird wie wir wissen kein Wasser bringen. Wenn die großen Bildschirme auf den Hochhäusern das Kino ersetzen, wenn Idealbilder von Frauen statt „Dragon Inn“ über die Leinwände des städtischen Lebens huschen, dann wird klar, dass hier nicht nur die Brücke, sondern auch die Zeit selbst verschwunden ist. Jene Zeit, die in der Lage ist, Gefühle zu tragen. Das spannende daran ist, dass nicht jeder Zuseher wissen kann oder erkennen kann, was die junge Frau eigentlich sucht. Es vollzieht sich also eine ziellose Suche vor den Augen jener Zuseher, eine Drifterbewegung, die verstärkt wird von jenen scheinbar so unpassenden Popsongs vergangener Zeiten, die wie so oft in den Filmen von Tsai Ming-liang zu hören sind.
Dennoch sei gesagt, dass sich „The Skywalk is Gone“ trotz seiner formalen Stärke, die sich in einer greifbaren Stimmung städtischer Verirrung manifestiert einige Probleme bezüglich seiner Rolle im Gesamtwerk des Regisseurs aufweist. Zum einen raubt er den beiden Geschwisterfilmen und auch vielen anderen Filmen rund um Hsiao-kang einiges von ihrer elliptischen Kraft. Die plötzliche Klarheit bezüglich der Figuren schmerzt. Aus persönlicher Sicht habe ich immer genossen, nicht zu wissen, ob die Figuren auch wirklich die Figuren aus den vorherigen Filmen waren. Die kleinen Hinweise und Momente habe ich als deutlich eleganter wahrgenommen als diese klare Überbrückung einer Zeit, die sonst ausgereizt oder ausgelassen wird bei Tsai Ming-liang. Außerdem treten hier die bemüht-narrativen Züge hervor, die auch in dem einen oder anderen Frühwerk durchscheinen. Statt einer Meditation über Figurenkonstellationen und ihre Umwelt findet man sich dann plötzlich in einer relativ klassischen Langzeitfiktion irgendwo bei Satyajit Ray oder François Truffaut wieder. Das ist keineswegs schlimm, aber es zeigt sich, dass sich in der Wahrnehmung eines Regisseurs bei einer derart geballten Sichtung seiner Werke Risse auftun können, die man anders kaum bemerken würde.