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„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Tsai Ming-liang Retro: The Skywalk is Gone

Der Kurz­film „The Sky­walk is Gone“ erzählt schon in sei­nem Titel vom ver­lo­re­nen Ver­lan­gen, das die­ser Kurz­film beschreibt. Wenn es einen Brü­cken­film gibt, dann ist es die­ser Film, der zeit­lich zwi­schen „What time is it the­re?“ und „The Way­ward Cloud“ ange­sie­delt ist, also eine Brü­cke zwi­schen den bei­den Fil­men schlägt. Er tut dies, indem er das Feh­len einer Brü­cke thematisiert.

Dabei kehrt Shiang-chyi, die wir zuletzt schla­fend und ein­sam in Paris gese­hen hat­ten zurück nach Tai­peh. Doch der Sky­walk, auf dem sie den Uhren­ver­käu­fer Hsiao-kang ken­nen­lern­te, exis­tiert nicht mehr. Statt­des­sen steht sie ver­lo­ren vor der Moder­ni­tät rie­si­ger Bild­schir­me und Wer­be­ta­feln. Tsai Ming-laing framed sie fast wie sei­nen lang­sam gehen­den Mönch aus der Wal­ker-Rei­he als ein Indi­vi­du­um, das nicht mit der Welt mit­geht, son­dern nur wie zufäl­lig in ihr steht. Es voll­zieht sich eine ent­frem­de­te Rei­se durch eine anders gewor­de­ne Stadt vol­ler klei­ner Momen­te und Absur­di­tä­ten für die jun­ge Frau. Dabei steht die Urba­ni­sie­rung und Moder­ni­sie­rung von Tai­peh im Zen­trum. Wie so vie­les bei Tsai Ming-liang basiert auch die­se schein­bar sym­bo­li­sche Geschich­te schlicht auf wah­ren Gege­ben­hei­ten, da der Sky­walk nach dem Dreh von „What time is it the­re?“ tat­säch­lich abge­ris­sen wur­de. Die Bewoh­ner der Stadt müs­sen sich inzwi­schen mit der Ratio­nie­rung von Was­ser her­um­schla­gen, so auch Hsiao-kang, der ver­geb­lich auf Was­ser aus dem Was­ser­hahn war­tet. Alles wird gere­gelt und nor­miert. Ein­mal begeht Shiang-chyi den Feh­ler, die Stra­ße an einer nicht vor­ge­se­he­nen Stel­le zu über­que­ren. Zusam­men mit einer ande­ren Frau und dem mys­te­riö­sen Kof­fer, der in der Tri­lo­gie immer wie­der auf­taucht, wird sie von einem Poli­zis­ten ange­hal­ten. Dabei ver­liert sie ihren Aus­weis lan­ge nach­dem sie ihre Iden­ti­tät nicht wie­der­ge­fun­den hat. Man hat das Gefühl, dass die­se Frau nicht nur nach sich selbst sucht, son­dern auch nach ihrem Ver­lan­gen. Die Schwie­rig­kei­ten mit dem Gefühl in der ver­schwin­den­den Stadt, an deren Hori­zont schon wie­der eine Anar­chie war­tet, die sich nicht wie in „The Hole“ als Tai­wan Fever, son­dern als anhal­ten­de Dür­re ent­pup­pen wird, sind omnipräsent.

The Skywalk is Gone

Den wirk­lich tra­gi­schen Moment hebt sich der Film aber auf, denn spä­ter wer­den die bei­den Prot­ago­nis­ten anein­an­der vor­bei­ge­hen. Hier erreicht die Art of Almost von Tsai Ming-liang einen über­ra­schend wenig sub­ti­len, aber dra­ma­ti­schen Höhe­punkt. Hsiao-kang bleibt lan­ge ste­hen nach­dem er und Shiang-chyi auf einer Trep­pe im Unter­grund anein­an­der vor­rü­ber­gin­gen. Die Trep­pe erin­nert an jene aus «The Jour­ney to the West», die sich der Wal­ker-Mönch her­un­ter­kämpft unter den ver­wun­der­ten Bli­cken der pas­sie­ren­den Men­schen. Es ist eine Trep­pe, die zwei getrenn­te Wel­ten anzeigt. Hsaio-kang scheint sich nicht sicher nach­dem Shiang-chyi an ihm vorbeiläuft.Er steht, pas­siv und schüch­tern wie man ihn kennt, hat er sie erkannt? Alles, was die­se Figu­ren gesucht haben, haben sie nicht erkannt, als sie es gefun­den hat­ten. Spä­ter wird er sei­ne Kar­rie­re in der Por­no­in­dus­trie begin­nen und eine eigen­ar­ti­ge Wol­ke schiebt sich am Him­mel vor­wärts, sie wird wie wir wis­sen kein Was­ser brin­gen. Wenn die gro­ßen Bild­schir­me auf den Hoch­häu­sern das Kino erset­zen, wenn Ide­al­bil­der von Frau­en statt „Dra­gon Inn“ über die Lein­wän­de des städ­ti­schen Lebens huschen, dann wird klar, dass hier nicht nur die Brü­cke, son­dern auch die Zeit selbst ver­schwun­den ist. Jene Zeit, die in der Lage ist, Gefüh­le zu tra­gen. Das span­nen­de dar­an ist, dass nicht jeder Zuse­her wis­sen kann oder erken­nen kann, was die jun­ge Frau eigent­lich sucht. Es voll­zieht sich also eine ziel­lo­se Suche vor den Augen jener Zuse­her, eine Drift­er­be­we­gung, die ver­stärkt wird von jenen schein­bar so unpas­sen­den Pop­songs ver­gan­ge­ner Zei­ten, die wie so oft in den Fil­men von Tsai Ming-liang zu hören sind.

The Skywalk is Gone

Den­noch sei gesagt, dass sich „The Sky­walk is Gone“ trotz sei­ner for­ma­len Stär­ke, die sich in einer greif­ba­ren Stim­mung städ­ti­scher Ver­ir­rung mani­fes­tiert eini­ge Pro­ble­me bezüg­lich sei­ner Rol­le im Gesamt­werk des Regis­seurs auf­weist. Zum einen raubt er den bei­den Geschwis­ter­fil­men und auch vie­len ande­ren Fil­men rund um Hsiao-kang eini­ges von ihrer ellip­ti­schen Kraft. Die plötz­li­che Klar­heit bezüg­lich der Figu­ren schmerzt. Aus per­sön­li­cher Sicht habe ich immer genos­sen, nicht zu wis­sen, ob die Figu­ren auch wirk­lich die Figu­ren aus den vor­he­ri­gen Fil­men waren. Die klei­nen Hin­wei­se und Momen­te habe ich als deut­lich ele­gan­ter wahr­ge­nom­men als die­se kla­re Über­brü­ckung einer Zeit, die sonst aus­ge­reizt oder aus­ge­las­sen wird bei Tsai Ming-liang. Außer­dem tre­ten hier die bemüht-nar­ra­ti­ven Züge her­vor, die auch in dem einen oder ande­ren Früh­werk durch­schei­nen. Statt einer Medi­ta­ti­on über Figu­ren­kon­stel­la­tio­nen und ihre Umwelt fin­det man sich dann plötz­lich in einer rela­tiv klas­si­schen Lang­zeit­fik­ti­on irgend­wo bei Satya­jit Ray oder Fran­çois Truf­f­aut wie­der. Das ist kei­nes­wegs schlimm, aber es zeigt sich, dass sich in der Wahr­neh­mung eines Regis­seurs bei einer der­art geball­ten Sich­tung sei­ner Wer­ke Ris­se auf­tun kön­nen, die man anders kaum bemer­ken würde.