Welch verspielte und im Kern doch traurige Reflektionen Tsai Ming-liang in seinem “The Wayward Cloud” zum Besten gibt, ist kaum in Worte zu fassen. Eine Stadt, die unter Wasserknappheit leidet und dennoch Flüssigkeiten, wohin man sieht. Aus der Straße, in die unabsichtlich ein Schlüssel asphaltiert wurde, dringt Wasser. Überall der rote (nicht jedem schmeckende) Saft der Wassermelonen, Saucen, Öl und Tränen. Ein Kanal in der Stadt, das Wasser einer Kühlungsanlage und spritzendes Sperma auf Glasscheiben, Gesichtern und im Mund.
Der Film handelt von einer Beziehung ohne Worte zwischen Shiang-chyi und Hsiao-Kang, zwei Charakteren, die man bereits aus „What time is it there?“ kennt (seltsam, dass „The Wayward Cloud“ vor „What Time is it there?“ programmiert wurde, aber auch nicht störend). Zufällig treffen sie sich in einem Wohnkomplex wieder und teilen einige Momente mit einem surrealen Koffer, der sich nicht öffnen lässt, schlafend in einer Kinderschaukel und bei einem „Annie Hall“ Gedächtnis-Versuch Krebse zu kochen. Allerdings arbeitet Hsiao-Kang inzwischen als Pornodarsteller und ganz im Stil von „Boogie Nights“ von Paul Thomas Anderson (und gar nicht im Stil von „Boogie Nights“) wirft Tsai Ming-liang einen absurden Blick hinter die Kulissen eines Pornodrehs, der natürlich auch unter der Wasserknappheit leidet. Dabei wird aus den komischen Szenen bald bitterer Ernst, wenn die Darstellerin halb-ohnmächtig immer noch weiter benutzt wird, weil ihr Körper genügt. Es hilft mit großer Sicherheit auch, dass sie aus Japan kommt. Die expliziten Sexszenen deuten auf das Interesse von Tsai Ming-liang hin, ein körperliches Bild der verstörten menschlichen Beziehungen zu zeichnen, die seine Filme immer belagern. Darin liegt keine Schönheit, sondern viel Grauen. Als würden diese Handlungselemente nicht schon für sich alleine ein originelles Bild abgeben, kombiniert der Regisseur sie mit schrillen Musicaleinlagen, die die ruhige Erzählweise des Films verfremden und aufbrechen und das Geschehen auf wilde Art rhythmisieren.
Kohärenz gibt es nicht in „The Wayward Cloud“. Der englische Titel spielt womöglich auf den fehlenden Regen an, der die Trockenheit, die man von Tsai Ming-liang so gar nicht kennt (in diesem Sinn ist der Film ein Gegenstück zum Dauerregen in „The Hole“), verursacht oder aber er beschreibt den Film als ganzen, die Rolle, die der malaysische Regisseur in Taipeh für sich selbst sieht. Die Musicalpassagen entfalten trotz ihrer Ironisierung einen faszinierenden Bilder- und Musiksturm, der einen manchmal zum Lachen bringt und manchmal irritiert. Kostüm, Schauspiel und Location sind sobald gesungen wird derart over-the-top, dass es eine Freude ist. Der Ansatz hat nichts mit jenem von Lars von Trier in „Dancer in the Dark“ gemein. Der dänische Regisseur setzte seine Musicalszenen technisch und auch diegetisch mitten in seinen Sozialrealismus, während Tsai Ming-liang die Nummern ganz bewusst meilenweit aus dem Kontext schießt. Verbindungen lassen sich natürlich trotzdem feststellen zwischen Musical und restlichem Film. Der Film ist ein unendliches Buch für jene, die ihn lesen wollen.
Vielleicht sollte man nochmal auf den Anfang zurück. Hier werden nämlich zwei Charaktere, die man aus einer sehr ruhigen und sehnsüchtigen Beziehung über zwei Kontinente hinweg kennt, in die größtmögliche Hardcore-Beziehung geworfen. Eine Explosion des Begehrens bei Tsai Ming-liang. Das erstaunliche daran ist, dass sich nicht wirklich etwas ändert an der emotionalen Nähe der Figuren, sie scheinen sich fast näher zu sein in „What time is it there?“ als sie sich nur kurz begegnen. Somit könnte die Trockenheit der Stadt ein innerer Zustand sein. Ein Dahinsiechen im Leben und in der Liebe. In diesem Sinne ist „The Wayward Cloud“ ein sarkastischer Film über das Begehren.
Dabei nimmt der Regisseur ein Tempo auf, das man so kaum von ihm kennt. Verglichen mit anderen Filmen von ihm folgt „The Wayward Cloud“ einer MTV-Ästhetik. Die Schnittfrequenz wird deutlich erhöht und auch die Bewegungen der Figuren scheinen schneller als gewöhnlich. Komödiantische Elemente werden in fast klassischen Auflösungen präsentiert. Außer dem Ende, ist eine große Lockerheit zu spüren.
Bleiben noch der Sex und beziehungsweise der Sex mit den Wassermelonen. Schon in der ersten Einstellung wird eine solche Wassermelone durch eine dunkle Unterführung getragen. Kurz darauf wird die Wassermelone in (womöglich) einem Tagtraum als vaginales Surrogate verwendet, die Hsiao-Kang mit Hand und Zunge unter wildem Stöhnen von Shiang-chyi bearbeitet, ehe dicke Stücke in den Mund von Shiang-chyi gesteckt werden und sich der rote Saft über ihren ganzen Körper verteilt. Als Hsaio-Kang sich die klebrige Substanz von seinem Körper waschen möchte, bemerkt er, dass kein Wasser aus der Dusche kommt. Er nimmt ein Bad im Kühlungswasser eines großen Generators. Tsai Ming-liang erfindet eine Metapher, die in seinem Kino allerdings nicht neu ist. In „The Wayward Cloud“ kann man beobachten wie sich ein solches Bild so lange mit Bedeutungen auflädt bis man daran glaubt, dass es wirklich was bedeutet.