Few of us von Sharunas Bartas

In der sich und uns transformierenden Natur in Sharunas Bartas faszinierender Kommunikationslosigkeit Few of us leben die Tofalaren. Diese ethnische Minderheit in Sibirien ist in ihrer Existenz bedroht. Bartas schickt ihnen einen dunklen Engel in Person des in eisiger Schönheit erglühenden Wasserfalls Katerina Golubeva. In den ersten Minuten kreist sie mit einem Hubschrauber über die verlassenen Eisfelder und Berghänge. Ein Blick von oben ohne Destination. Zu Beginn wird so eine Grenze zwischen Mensch und Natur sowie Modernität und Vergangenheit definiert. Es ist ein überlegener, ein romantischer, aber zugleich auch Angst machender Blick. Sich an den Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion bewegend wird Bartas in kontemplativen Bewegungen mit einigen Strategien arbeiten, um ein Gefühl für diese sibirische Landschaft samt ihrer Emotionen zu erzeugen. Golubeva wird landen. Der Hubschrauber sinkt wie von einer unsichtbaren Kraft gelenkt und verschmilzt ganz im Sinn von Merleau-Ponty mit den knarzenden Wipfeln einiger verlassener Tannen. Die Tofalaren nennen sich selbst Tofa. Das bedeutet Mensch. Bartas nähert sich ihnen im Stil eines Ethnographen. Beobachtend, zurückhaltend und doch voller Sensibilität für die Falten in den Gesichtern, das Verlangen der Einsamkeit in den durstigen Augen, die Kälte und den Alkohol. Es wird keine wirklichen Dialoge geben. Nur ein Gemurmel und Unverständliches ganz wie bei Jacques Tati. Grandios dabei ist erneut die Tongestaltung durch Vladimir Golovnitskiy. Schritte, die man nicht sehen kann, erzeugen eine Bedrohung, verkohlte Baumstämme heulen unter der Last einer kalten Sonne.

Few of us Golubeva

Warum sucht Golubeva, die in ihrer ersten Einstellung wie eine Heilige im Schatten gemalt wird, diesen verlassenen Ort auf? Hat sie dort eine Geschichte? Kennt sie dort wen? Ihre Haltung in den von zärtlichen Öllampen beleuchteten Hüten ist zunächst weder feindlich noch freundlich. Sie ist einfach nur da. Der Film provoziert von Zeit zu Zeit eine metaphorische Lesart, die einen allerdings kaum weiterbringen dürfte. Ursprünglich waren die Tofalaren ein großes, nomadisches Volk. Sie lasen in Bäumen über die Geschichte eines Ortes. Bartas macht es ähnlich mit seiner filmischen Sprache. Da gibt es jenen Blick in das Off, der in Parallelmontagen zwischen einer atemberaubenden Umwelt und den Gesichtern ihn ihr, einen poetischen Sog erzeugt, eine Wechselwirkung zwischen den Menschen und ihrer Umgebung. Immer wieder geht der Blick auf etwas, dass wir nicht sehen können. Auf diese Art entwickeln wir eine Neugier, eine sinnliche Faszination am Fremden. Golubeva ist fremd in dieser Welt, die scheinbar ohne Reflektion auf ihren Tod zusteuert, in kreisenden Bewegungen sich selbst auslöschend. In ihrer Rolle zwischen Begehren und Bedrohung erinnert sie ein wenig an Scarlett Johansson in Under the Skin. Denn auch sie ist ein Fremdkörper, der nicht nur vor der Umwelt, sondern auch vor sich selbst fremd zu sein scheint. Statt zu stehen, zittert sie, statt zu sprechen, schließt sie ihre Augen. Aber auch sie beginnt, ins Off zu blicken. Dabei sind ihre nassen Augen nie verbunden mit der Gegenwart dieser Welt. Wie alle Figuren im Film blickt sie durch Raum und Zeit hindurch. Hier ist nichts verbunden, nichts kann sich helfen, die Wahrnehmungen driften aneinander vorbei. Selbst in der Sexualität beginnt eine sich abkehrende Entfremdung oder eine Angst.

Viel mehr gemeinsam hat die deformierende und kontemplative Filmsprache von Bartas mit jener von Lisandro Alonso. Die elliptische auftauchende Sexualität, die Verweigerung einer Offenbarung und die rhythmischen Schocks, die dem beobachtenden Treiben entspringen, zeigen deutliche Parallelen. Es sind die Dinge, die wir nicht sehen, die wir nicht genau sehen, an die wir uns klammern müssen. So schwer fällt es uns, das Fremde zu verstehen. Eine Verlorenheit stellt sich ein, die meditativ wie die ruhigen, rauschenden Gebirgsbäche auf eine Katastrophe zuläuft. Warum begann dieses Volk zu sterben? Ähnlich wie Alonsos zelebriert Bartas auch die Sensation des Raumes und der kleinen Regungen. Ein Zug an einer Zigarette offenbart so einen Ozean. Der Film sucht nach den Seelen seiner Figuren und damit auch ihrer Vergangenheit. Eine nahe Einstellungen auf die von Falten umzingelten, zuckenden Augen eines Tofalaren wird zur körperlichen Erfahrung eines Menschen, die nur in großen Kunstwerken möglich ist.

Few of us Bartas

Es wird von Krankheiten berichtet: Die schwarzen Pocken. Eine fremde Macht. Man kann sich nicht sicher sein, ob diese Krankheit in der Welt von Few of us gerade ausbricht, ob wir Zeuge einer göttlichen Intervention werden. Im Streit um die Weiblichkeit und Sexualität explodiert eine Gewalt, die aus den glühenden und schwitzenden Visagen herausdringt, ohne die Lider der Augen zu bewegen. Es ist fast eine paradiesische Erzählung, nur dass Eva keine Verbindung zu Eden herstellen kann. Am Ende steht aber hier wie dort eine Vertreibung und Flucht. Ein Sterben, das vielleicht gerade erst beginnt. Aber es ist mehr. In langen Einstellungen lässt Bartas seine Figuren in der Landschaft verschwinden. Die subtile Bedrohung erinnert stark an einen anderen großen Film mit Golubeva: Twentynine Palms von Bruno Dumont. Wie dort ist es gerade die Nicht-Kommunikation, das Unerklärte, was uns beunruhigt. Das wundervolle und unerklärte Nicht-Erschließen einer Welt, das unsere Existenz nicht von unserer Essenz löst sondern unsere Existenz zur Essenz macht. Die Alltäglichkeit und das Spürbarmachen der Zeit, das Few of us in manchen Szenen nahe an die drückende Poesie eines Béla Tarrs bringt. Das Aufsteigen auf ein Reittier, das Sitzen im Geröllfeld, eine Schneeverwehung, der Mond umgeben von Wolken. Alles erzählt von der Existenz.

In mancher Hinsicht ist der Film auch ein Western, eine Fremde ohne Namen in einer von Ritualen und Prinzipien gesteuerten Welt, die Erschließung einer Welt. Wir befinden uns auf der Suche nach einem Frieden, den es nicht geben kann. Es ist die gescheiterte Hoffnung auf eine Heimat, auf eine Verortung. Was eine dann bleibt, ist auf die Natur zu hören, die mit ihren Augen uns beobachtet genau wie dieser Film mindestens genauso auf uns zurückblickt, wie wir auf ihn schauen. So werden wir wieder zu einer rauen und wilden Existenz, auf uns selbst zurückgeworfen und darin liegen vielleicht jene Gleichheit und Kommunikation, die so verloren scheinen. Sie finden sich im Licht dessen, was uns die Natur zu sehen erlaubt.

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