Über uns

„Eine ganze Welt öffnet sich diesem Erstaunen, dieser Bewunderung, Erkenntnis, Liebe und wird vom Blick aufgesogen.“ (Jean Epstein)

Währinger Kassiber: Regenrinnen

Das Februarlicht ist mir zu hart. Du musst darüber lachen, findest doch in jeder Stimmung etwas, was dir behagt. Ich schaue aus dem Fenster und sehe ein schwarzes Eichhörnchen über die alten Ziegel des Hauses gegenüber klettern. Es krabbelt (fast weht es, so windig sieht es aus) in eine Regenrinne. Jetzt stehst du neben mir am Fenster. Wir sehen den buschigen Schwanz des Tieres aus dem metallenen Halbrohr ragen. Du sagst, es wolle einmal Regen spielen. Das lässt mich schmunzeln. Keine Wolke am Himmel, nur hartes, gestaltloses Licht und du sprichst vom Regen. Der Winter ist trocken. Wir sind daran gewöhnt, dass es Wochen nicht regnet. Ich folge dem Eichhörnchen mit meinen Blicken durch die Regenrinne. Du gehst kurz ins andere Zimmer und holst ein Buch. Ich kenne das Buch. Du liest mir die Stelle vor, an der die Autorin behauptet, dass Ängste am Anfang aller schlimmen Dinge stünden. Ich nicke, aber dann sagst du, dass das auch unsere Ängste beträfe.

Das Eichhörnchen fürchtet sich nicht. Zumindest ist es leicht, das zu glauben, wenn man seine Bewegungen sieht. Es hüpft aus der Rinne auf den dünnstmöglichen Ast eines nahen Baumes und bewegt sich darüber hinweg, als würde es fliegen. In den vergangenen Monaten hast du dich für Tiere interessiert, die es hier gar nicht gibt, tropische Tiere. Du hast dir Videos angesehen von diesen Tieren, so viele Videos. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es sie alle gibt. Du hast gesagt, dass dir das gut tue, diese Videos anzuschauen. Dann würdest du nicht an die Nachrichten denken, diese Tiere würden auch nicht an die Nachrichten denken.

In Währing gibt es nur Krähen und Eichhörnchen. Die Eichhörnchen sieht man besser im Winter, wenn die Bäume kahl sind, die Krähen sieht man immer. Ich frage dich: Habe ich Angst? Du schaust mich an, fast ausdruckslos. Es ist normal, wenn schlimme Dinge geschehen. Aber ich habe das Gefühl, dass ich schon zuvor Angst hatte. Sehe ich unsicher aus? Wie sieht unsicher aus? Zwei Monate ist es her, seit ich meine Panik hatte. Ich habe am ganzen Körper gezittert und du hast mich gehalten.

Es ist doch ganz einfach: Ich wäre gern wie abertausend Regentropfen, die mit einem Mal im Fallen umkehrten, um zurück in die Wolken zu schweben. Ich wäre gern eine unumkehrbare Kraft, die umkehrt. Da, schau! Das Eichhörnchen schaut zum Himmel und wartet auf den Regen. Es ist ein klarer Tag in Währing. Heute wird es nicht regnen.