- Wenn man in Wien Theater-, Film- und Medienwissenschaft studiert hat, kommt man an Vlado Kristl nicht vorbei. Wenig verwunderlich also, dass es mich zu einem der raren Screenings seiner Filme im Rahmen der Retrospektive verschlug: Der Brief ist ein wilder, erratischer Galopp, der weder an der Filmindustrie, noch am kleinbürgerlichen Leben in Deutschland ein gutes Haar lässt. Zwar entwickelt sich der Film mit zunehmender Dauer zu einer Geduldsprobe – so viel Verfremdung muss man erstmal verarbeiten –, dass ein Langfilm in dieser Form überhaupt entstehen konnte, sagt jedoch einiges über die Möglichkeiten in der damaligen Produktionslandschaft in Deutschland aus: Der Brief ist in dieser Hinsicht das Epizentrum der diesjährigen Retrospektive.
- Nachdem Michael Moore sich über die Jahre als wütender Mann etabliert hat, der in seinen Filmen auf die sozialen, politischen und ökonomischen Missstände in seinem Heimatland hinweist – und das auf sehr brachiale Weise –, so hat er mit Where to Invade Next die übertriebene Schwarzmalerei mit naiver Begeisterung ersetzt. Er bleibt laut, einseitig und betreibt weiter gnadenlose Selbstinszenierung während er durch Europa zieht, um dort gute politische Ideen zu „erobern“. Man kommt mit dem Kopfschütteln gar nicht hinterher, wenn man den Film sieht oder darüber nachdenkt. Trotz allem frage ich mich, ob Moore vielleicht in einigen Jahrzehnten nicht einer Re-Evaluation unterzogen werden könnte. Er ist zwar ein Propagandist mit einer eindeutigen politischen Agenda, der keinen Raum lässt für kritische Reflexion seines Gegenstands, aber damit wäre er kein Einzelfall im filmgeschichtlichen Kanon. Es wird sich weisen, ob man mit etwas zeitlichem Abstand von den brachialen, direkten Botschaften abstrahieren wird können. In zumindest drei Punkten scheint mir ein Potenzial in Moores Filmen zu stecken, das womöglich unter der aufgeblasenen Kunstfigur des Regisseurs und seiner allzu eindeutigen politischen Agenda verschüttet ist: Erstens artikuliert er sein politisches Programm zwar überdeutlich, aber aus moralischer Sicht scheint es mir über viele Zweifel erhaben – die Welt, die Moore anstrebt, ist eine bessere Welt. Zweitens ist er ein berechnender Filmemacher, der seine Inhalte sehr effektiv an den Mann bringt, indem er Polemik und Komik auf eindrucksvolle Weise miteinander verbindet. Kurz, Moore ist ein exzellenter Drehbuchautor. Drittens, und quasi die Synthese aus den beiden vorherigen Punkten: Die Kombination aus persönlichem Engagement und handwerklichem Geschick erzeugt eine Energie, die seine Filme ungefiltert an das Publikum weitergeben. Für den Moment materialisiert sich diese Energie in fragwürdigen polemischen Parolen, aber wer weiß, ob sich mit einigem Abstand nicht eine andere Lesart von Moores Filmen ergeben könnte.
- Japan ist mir sehr fremd. Japanische Filme haben für mich zumeist exotischen Wert, indem sie mich mit dieser anderen Kultur und ihren kryptischen Verhaltensmustern konfrontieren. Ich schätze diesen ungewohnten Blick, diese fremde Sensibilität sehr; A Road vereint diese Eigenschaften mit etwas Vertrautem. Ich spüre hier Figuren und eine Welt, die doch nicht so weit entfernt von meiner zu sein scheint, eine Coming-of-age-Sensibilität, mit der ich mich identifizieren kann. Das liegt vielleicht an der persönlichen Herangehensweise von Regisseur Daichi Sugimoto, der einen Abschnitt seines eigenen Lebens verfilmt, der an und für sich gar nicht besonders außergewöhnlich zu sein scheint. Sugimoto, der sich im Film selbst spielt lässt die Ereignisse rund um seine Aufnahmeprüfung an der Filmschule Revue passieren und schafft damit ein eindringliches Porträt zwischen Fiktionalisierung und Re-Enactment.
- Noch immer bin ich auf der Suche nach Anekdoten: Es scheint, dass die klinische und hektische Atmosphäre rund um den wenig einladenden Potsdamer Platz jegliche Form von unfreiwilliger Komik unterbindet. Ebenso frustrierend: Nach Hälfte des Festivals gab es zudem keine Festivaltaschen mehr.