Landscape (for Manon) von Peter Hutton

In Peter Huttons Landscape (for Manon) führt die Natur ein romantisches Eigenleben. Hutton erschafft eine seelenvolle Engführung von Film, Landschaftsmalerei und Träumen. Wie üblich beim Filmemacher konzentriert er sich dabei ganz auf die Bilder, denn die Tonkulisse bleibt stumm. Dieser Verzicht auf Ton kommt einer druckvollen Zärtlichkeit bei Hutton gleich, da sich in der Suggestivkraft der Bilder so erst die Bedeutung des Tons erzählt. Da wir nicht hören, beginnen wir zum einen hinzusehen und zum anderen hinzuhören. Wie würde es eigentlich klingen? D.W. Griffith hat einmal gesagt: “What the modern movie lacks is beauty, the beauty of the moving wind in the trees.” Dieser Ansage folgend beobachtet Hutton, wie der Wind das Licht in den Blättern von Bäumen berührt. Landscape (for Manon) ist eine Abfolge von bewegten Landschaftsbildern. Wir sehen Bäume im Wind, Sonnenstrahlen, die über den Boden wandern und aufreißende Wolkendecken. Dabei können wir tatsächlich spüren wie Bilder unser Opium sind. Man hat das Gefühl einer höheren Kraft, sei sie im Leben der Natur oder in einer religiösen Interpretation. Die Natur bewegt sich von selbst und mit ihr der Film. Woher kommen diese Bewegungen? Wie die Found Footage Wolkenstraße in Olivier Assayas‘ Clouds of Sils Maria geht eine große Faszination davon aus, wenn sich die Natur von selbst bewegt. Das ist natürlich eine Faszination, die man oft leider bereits als Kind ablegt, aber gebannt auf Film können wir uns ihrer Schönheiten wieder bewusst werden. Es ist sogar mehr, weil gebannt auf Film und kombiniert mit den richtigen Perspektiven, Schnitten und Tönen (oder deren Auslassen) entsteht eine neue Wahrnehmung von natürlich existierenden Phänomenen. Diese Wahrheiten erscheinen uns im Kino (im Gegensatz zur Physik, Chemie oder Geographie etc) wie Illusionen, weil wir mit Film ihr Entstehen nicht filmen können sondern nur ihre Bewegung, ihr Ergebnis. Warum sich diese Wolken bilden, warum der Wind die Blätter bewegt, warum das Licht den Schatten verdrängt bleibt für Film ein ewiges Geheimnis. Eine unsichtbare Kraft darf im Kino noch arbeiten und man sollte sich dort nicht die wissenschaftlichen Fragen nach den Gründen für diese Phänomene stellen sondern die poetischen Fragen an ihre Wirkung, ihre Ähnlichkeiten, ihre Schönheit. Wenn wir die Natur in Bewegung sehen, in gespeicherter Bewegung, dann erahnen wir auch ihre Sterblichkeit, weil jedes Bild von Hutton in diesem Film von einer Flüchtigkeit beseelt ist. Was wir sehen, kommt vielleicht so nie wieder oder nur äußerst selten vor. Es sind diese Sekunden in der Ewigkeit. Film macht sie unsterblich, aber was ist mit dem Mann der verrückt wurde, als er feststellte, dass die Vögel, für die er sich auf Fotografien so sehr begeisterte, schon lange tot sein mussten? Das Ende ist immer schon da und gewissermaßen erinnert die Montage dieser Bilder auch an das Ende von Michelangelo Antonionis L’eclisse. Das Licht könnte gehen, eine Bedrohung in dieser unschuldigen Idylle, eine Romantik im Nichts.

Dennoch ist alles ein Traum. Oder? Zwischen den atemberaubenden Naturbildern in Landscape (for Manon) gibt es schwarze Bilder, man könnte von ausgedehnten Blenden sprechen, ein Augenschließen, ein Schlafen ein langes Zwinkern und verdauen der Bilder. Am Ende dann eine lange Doppelbelichtung. Der Kopf eines schlafendes Kindes (die Tochter von Hutton) und dahinter ein Spiel aus Schatten und Licht. Als würde dieses Spiel im Kopf des jungen Mädchens stattfinden. Aber die schwarzen Bilder könnten auch für den Schlaf stehen und die Bilder der Landschaft selbst für das zwischenzeitliche Erwachen. Dann wäre der Traum das Gegenteil vom Bild, aber gleich dem Schnitt. Dieser Gedanke ist dem Kino gar nicht so fern, denn der Schnitt hebt erst die Bilder auf andere Ebenen, ist in der Lage ganz beiläufig und fließend die Kausalität zu entfernen. Zwei Bilder lassen uns träumen, eines lässt uns sehen. Aber ein Film ist immer zugleich sehen und träumen. Vielleicht ist der ideale Zuseher für Hutton ein träumendes Kind im Schatten und Licht der Welt, vielleicht muss man ins Kino gehen als würde man an einem warmen Sommertag am Waldrand einschlafen, um zwischendurch aufzuwachen und die Bäume im Wind zu sehen. Erschrocken von ihrer Schönheit. Auch Leos Carax arbeitet mit diesen Schwarzblenden als Blinzeln (zum Beispiel in Mauvais Sang). Auch er macht Filme über das Kino.

Landscape Peter Hutton

Inspiriert scheint der Film offensichtlich von der Landschaftsmalerei. Die 22 Einstellungen entstanden alle in Hudson Valley, jener Wirkungs- und Lebensstätte des großen Thomas Cole, der mit seinen Landschaftsbildern einen Stil prägte. Totalen stehen im Kino oft für eine gewisse Neutralität. Sie werden entweder als Establishing Shots verwendet, um eine räumliche Orientierung zu bieten oder eben als zurückhaltende Distanz (wie beispielsweise bei Sergei Loznitsa) oder als Verunsicherung gegenüber den tatsächlichen Ereignissen (zum Beispiel in Antonionis Blow-Up oder Alain Giraudies L’inconnu du lac). Bei Hutton jedoch ist die Totale selbst von einer surrealen Romantik gefüllt, denn nur durch diese Perspektive können wir die Schönheit und Geisterhaftigkeit einer Bewegung in ihrer vollen Blüte erkennen. In dieser Hinsicht steht Hutton wirklich in der Tradition der Hudson River School um Thomas Cole. Nur er arbeitet mit Filmen, Träumen und der Vergänglichkeit seines Mediums, seiner Welt und seiner Fantasie.

Visionary Nostalgia: Der Stand der Dinge von Wim Wenders

Rückblickend betrachtet, wirkt Wim Wenders Der Stand der Dinge wie eine visionäre Verzweiflung. Der Film entstand noch in den letzten Atemzügen einer deutschen Filmblüte, die schneller verwelkt ist, als sie wiederbelebt werden kann und berichtet von einer medialen Transition, die sich inzwischen mit einer Wucht entfaltet, die jeden überfordern muss. Aber gedreht ist der Film noch im Stil und mit dem Gestus eines großen Kinos, eines Kinos, in dem Kunst nach Größe streben durfte. In diesem Sinn praktiziert Wenders hier eine gegenläufige Bewegung. Da ist auf der einen Seite die Schönheit des Kinos, die Erhabenheit und Spiritualität von Bild und Ton in Verbundenheit mit einem handwerklichen und theoretischen Verständnis der Materie, einer offenen Umarmung der Kunst und all ihrer berauschenden Möglichkeiten. Auf der anderen Seite lauert die Unmöglichkeit dieser Herangehensweise, das Unverständnis der Welt, die Hoffnungslosigkeit und kleine Geldcomputer, die Film in Daten verwandeln. Wenders inszeniert die zweite Welt mit dem Gefühl der ersten und hat damit – so traurig das ist – einen Film über unsere Gegenwart (die gleichzeitig die Vergangenheit und Zukunft ist) gedreht, den man heute so nicht mehr drehen dürfte. Der Stand der Dinge gewann 1982 den Goldenen Löwen und 1982 starb auch Rainer Werner Fassbinder, der zuvor mit dem wundervollen Die Sehnsucht der Veronika Voss den Goldenen Bären in Berlin gewann. Werner Herzog sicherte sich mit seinem unfassbaren Fitzcarraldo den Preis für die Beste Regie in Cannes. Es wäre etwas zu forciert dieses Jahr als einen Wendepunkt zu nehmen, denn schließlich geschahen in der Folge noch wunderbare Dinge in den 1980er Jahren von Syberberg bis wieder zurück zu Wenders, aber es war sicher ein Hochpunkt der späten Phase eine deutschen Kinos, das Sinn machte.

“Life is in colour, but black and white is more realistic.”

Der Stand der Dinge Wenders

In den traumähnlichen Zartheiten, die sich zwischen dem Licht und dem Schatten der famosen 35 Millimeter schwarz-weiß Bilder bei Wenders entblößen, geht es um das Sterben einer Welt, die eine Illusion ist: Film. Damit wird im Film erst mal ganz nüchtern die mediale Ausprägung des Begriffs beschrieben, denn eine internationale Filmcrew mit allerhand Prominenz vom zigarrerauchenden Kameramann Sam Fuller bis zu Isabelle Weingarten, dreht in Portugal einen SciFi Film und kämpft sich in der Nähe von Lissabon über Sandhügel als ihnen das Filmmaterial ausgeht. Verlassen von ihrem Produzenten warten Cast und Crew nun in einem leeren Hotel am rauschenden Meer auf eine Rettung. Alles ist in einen somnambulen, fast alkoholischen Rausch gekleidet, der gleichermaßen das Kino von Jean-Luc Godard, als auch jenes von Michelangelo Antonioni oder John Ford zitiert und dabei trotzdem ein eigenes Gefühl im Nirgendwo eines verlorenen Filmdrehs benennt. Spätestens im zweiten Abschnitt des Films, der in Los Angeles spielt, wird der Tod des Films dann auch noch durch das Geld und die Produktionsbedingungen benannt. Das Ende Hollywoods, des Ende eines Glaubens an Kunst. Der SciFi Film hinter dem SciFi Film ist eine realistische Dystopie als Produzenten den Geldhahn zudrehen, weil sie nichts mit Schwarz-Weiß anfangen können. In einer weiteren Sequenz in einem nebeligen Versteck wird ein Computer eingeführt, der alle Finanzen und Daten des Films berechnet und damit jede Form von Menschlichkeit aus dem Herstellungsprozess entfernt. Alles wird zu einer Statistik, zu Zahlen statt einem organischen Vorgang. Die filmischen Bilder beginnen sich aus groben Pixeln zusammenzusetzen, alles ist planbar, alles ist kalkuliert. Die Energie von New Hollywood, in dessen Neurosen Der Stand der Dinge schwimmt, ist besiegelt. Wenders agiert als verbitterter und doch träumender Zyniker, der mit autobiografischen Verweisen eine Sackgasse beschreibt, die unabwendbar für eine Filmwelt war, die es heute in den schlimmsten Ausprägungen der vom Film gezeigten Gegenwart gibt. Der Stand der Dinge stellt die Frage, ob es keinen Film mehr gibt, wenn es keine Story mehr gibt oder keinen Film mehr gibt, wenn es keinen Film mehr gibt. Mit seinen alltäglichen, entleerten Beobachtungen des Nichts einer wartenden Filmcrew beantwortet er beide Fragen zugleich und zeigt gleichermaßen, dass es nicht die Story ist, die den Film belebt, aber dass das Sterben von Film schon eine Story ist. In den scheinbar improvisierten Begegnungen einer Einsamkeit in und um das Hotel lernen wir eine Filmcrew kennen, die nichts mit dem dramaturgischen Esprit eines Truffauts zu tun haben. Vielmehr interessiert sich Wenders für eine existentialistische Verzweiflung, die er sowohl bezüglich eines Lebens mit Film als auch bezüglich eines Lebens zwischen Familie und Film offenbart. Das Begehren von Bildern und jenes der Sexualität fließt hier ineinander, wird aber auch getrennt (auch anders als bei Truffaut und auch Fellini). Beide beschreiben eine Sehnsucht, die sich nur in kurzen Augenblicken ihrer Vergänglichkeit erwehren kann.

Der Stand der Dinge Wenders

Wenders schiebt wie oft ein Gefühl von Nostalgie über und gegen die akute Realität und die beiden Dinge stehen sich fatal auf den Füßen. Da wäre zum Beispiel die Analogie des Schießens mit der Kamera und mit einer Waffe, die an mehreren Stellen im Film benannt wird, sei es durch Blicke durch ein Objektiv, die an ein Zielfernrohr erinnern, betrunkene Kommentare von Sam Fuller in einer Bar oder das pessimistisch-romantische Ende. Man schießt immer weiter und stirbt einen Heldentot? Der Schuss mit der Kamera steht für die Nostalgie, den Glauben an Film, der Schuss mit der Waffe ist der harte Schlag einer nüchternen Realität. Aber das Sterben von Film hängt auch mit der Beziehung von Kino und Tod zusammen. Die Narration wird dabei weder abgelehnt noch begrüßt, ihre Definition wird allerdings zwischen zwei Welten gestellt, die man nur sehr vereinfacht als ein gegensätzliches europäisches und amerikanisches Denken interpretieren kann. Dieser Film ist wie die Begegnung eines idealistischen Regisseurs mit einem zynischen Produzenten, aber Wenders inszeniert einen Glauben an das Kino über die Bilder. Die Kamera scheint oft autonom zu agieren. Ihre elegischen Fahrten, ihr gottgleicher Blick bewirken eine poetische Distanz, die etwas unter und über den Bildern erzählt. Diese Schönheit der Bilder wirkt wie ein hauchender Protest gegen das Ende des Kinos. Es ist ein Stil, der auf sich selbst aufmerksam macht, der sicherlich gewollt kunstvoll ist und sich selbst wichtig nimmt. Aber (und darüber habe ich ja bereits geschrieben) darin liegt eine Qualität und kein Missstand. Der egozentrische Blick des Neuen Deutschen Kinos war eine seiner unheimlichen Stärken. Diese Bilder, die Wenders selbst profund nennt, werden von den improvisierten Bildern unterstützt. Auf der anderen Seite gibt es aber auch jene notwendigen Bilder, die eben mit der Story zusammenhängen. Alle drei zusammen ergeben einen zugleich narrativen als auch poetischen Film, der Künstlichkeit und Lebendigkeit in jeder Sekunde wahrhaftig erscheinen lässt.

Die Realität ist vom Leben bestimmt, die Fiktion vom Sterben. In diesem Sinn spielen Tod und Vergänglichkeit auch eine überdominante Rolle im Film.

Hollywood, Hollywood, never been a place where people had it so good … What do you do with your days, my friend? What do you do with your nights my friend? in Hollywood, in Hollywood. Never been a place where people had it so good. What do you do with your wife my friend? What do you do with your life my friend, in Hollywood? What do they do with your head? When did you learn you were dead, my friend? In Hollywood, in Hollywood.

I made 10 movies … ten times, Same story I was doing. In the beginning it was easy because I just went from shot to shot. But now in the morning I’m scared. Now I know how to tell stories. Unrelentlessly. As the story comes in, life sneaks out. Life sneaks out … Everything gets pressured into images. Mechanism. Birth, as all stories can end, all stories are about death.

Zunächst liegt der Verdacht nahe, dass Wenders am Ende den Prinzipien des Geschichtenerzählens treu wird und damit einen ganz ähnlichen Ausgang wählt wie Spike Jonze in seinem Adaptation. Dies gilt aber nicht für seine Form und da liegt ein großer und reifer Unterschied, denn der Mechanismus eines Kinosystems wird von Wenders subversiv unterwandert mit einer in die Zukunft gerichteten Nostalgie, die einem Klageruf gleichkommt, der so auch in Filmen von Hou Hsiao-hsien oder Carlos Reygadas zu hören ist, aber den viele in ignoranter Manier nicht hören wollen, weil auf ihm die Schwere eines Bedauerns liegt, welches natürlich immer eine Frage des Blickpunkts ist. Und dieser Blickpunkt ist vielleicht das einzige was überlebt in Der Stand der Dinge, der Blick vom Wim Wenders.

Cinemañana: How to disappear completely

Clips/Idee: Ioana Florescu
Text: Patrick Holzapfel

Modern Times

Ioana Florescu hat sich wieder auf die Suche gemacht. Diesmal hat sie Menschen gefunden, die uns am Ende von Filmen den Rücken zukehren und gehen. Wir werden sie nicht mehr wieder sehen,

That there, that’s not me, I go where I please,I walk through walls,I float down the Liffey

Gycklarnas afton von Ingmar Bergman

Un condamné à mort s’est échappé von Robert Bresson

In solchen Momenten zerfließen die Filme vor unseren Augen: Film is The Art of Absence. Was davor, danach, daneben, dahinter, darüber, darunter, dazwischen passiert ist entscheidend. Ein solches Ende macht uns klar, dass wir Filme nicht einfach betreten und schon gar nicht besitzen können. Wir können sie nur betrachten so lange sie uns lassen. Aber der Raum und die Zeit im Off werden nur in uns existieren und in den Figuren, nicht aber auf der Leinwand, dieser riesigen Lupe, dieser wahren Lüge; fängt Blicke wie andere Schmetterlinge,

Ich werde aufstehen und in die Leinwand springen, um den Figuren zu folgen. Ich will an der Leinwand kleben wie eine tote Spinne und langsam darin versinken. Vielleicht kann ich den Figuren dann folgen? Ich renne Chaplin hinterher. Ich verfolge ihn durch die Nacht. Hoffentlich kann ich ihn nie berühren,

Es muss ein Leben hinter den Bildern geben,

I’m not here,This isn’t happening,I’m not here, I’m not here

Le Bonheur von Agnès Varda

La grande illusion von Jean Renoir

Ungreifbar und unbegreiflich schweben schwarze Silhouetten ins Nichts. Narren glauben, dass diese Bilder von einer ungewissen Zukunft sprechen, obwohl sie eindeutig in der Gegenwart verankert sind. Danach ist nichts mehr. Es wird irgendwann schwarz werden. Die Zukunft ist eine Illusion im Kino. Diese Geister sterben am Ende ihrer Filme. Die Filme auch. Aber sie werden wiedergeboren. Wer sich in seinem Sitz bewegt und glaubt, dass dies nun das Ende des Films sei, weil Filme nun mal so enden, verpasst den letzten Blick des Kinos. Unfähig sich zu rühren, unfähig weiter zu folgen,

Hat die Kamera ihre Lust verloren? Sind diese Bilder ihr letzter Lebenshauch, vielleicht ein letztes trauriges Blinzeln, die letzte Erinnerung an eine Welt?

Orphée von Jean Cocteau

Das Kino braucht keinen Vorhang, denn es gibt den Off-Screen und die Tiefe des Bildes. Und es gibt noch mehr,

Sie kehren mir den Rücken zu. Ich sehe ihre zuckenden Schulterblätter, ich sehe Punkte in der leidenschaftlichen Landschaft. Ihre Füße sind echt. Jeder Schritt hinterlässt eine Spur in meiner Pupille, eine glühende Narbe unter meinen Lidern,

Wer genau hinhört, kann den letzten Atemzug der Filme vernehmen. Es ist ein langes Seufzen, das wie ein verlorener Wind über die Ewigkeit der Vergangenheit treibt, ein feuchter Film, der sich auf den Augen bildet und unmerklich über die Wangen brennt wie ein sanfter Reifen auf Asphalt. Ein Film setzt niemals einen Punkt sondern immer Kommas,

In a little while, I’ll be gone, The moment’s already passed, Yeah, it’s gone

Professione:reporter von Michelangelo Antonioni

In Another Country von Hong Sang-soo

Film ist gemacht für den Übergang von Tag auf Nacht und Nacht auf Tag. Immerzu sehen wir in den Filmen die Geburt und den Tod des Lichts. Ein Zustand in dem noch alles möglich ist. Diese gehenden Gestalten am Ende des Films sind der endgültige Übergang als Geister aus der Maschine. Sie könnten auch fliegen. Ihre Langsamkeit sagt mir, dass ich sterben werde. Mit ihnen oder ohne sie, langsam oder plötzlich. Es ist der Horizont, indem sie verschwinden bevor er selbst verschwindet. Vielleicht klammert sich der Blick an die Dauer der Entfernung, vielleicht hetzt er ihnen nach, aber auch der Blick wird sterben.

Irgendwann kann man nichts mehr sehen.

Wie der Expressionist ein Romantiker ist, die Angst der Natur nicht länger ertragen kann, so ist die verschwindende Filmfigur eine romantische Angst, die ihren Rahmen nicht mehr ertragen kann. Aber diese Figuren verlassen den Rahmen nicht. Sie verschwinden in ihm. Ich verstehe nicht wohin sie gehen. Das liegt daran, dass sie nicht im Raum verschwinden sondern in der Zeit.

Being There von Hal Ashby

Of Freaks and Men von Alexei Balabanov

What Time is it There? von Tsai Ming-liang

I’m not here, This isn’t happening,I’m not here, I’m not here

Eine wunderschöne Mücke saugt mir das Blut in Zeitlupe aus. Ich sehe ihr zu und spüre den langen Schauer meines platzenden Blutes, das in den Körper der Mücke fließt und weiß, dass dieser Moment in meinem Gedächtnis bleiben wird, wie das letzte Echo eines Hilfeschreis in den Bergen, wie der Geschmack eines letzten Kusses auf den Lippen verweilt. Die Erinnerung an diese Bilder ist jene des empfundenen Schmerzes bei ihrer Betrachtung.

Strobe lights and blown speakers

Rocco e i suoi fratelli von Luchino Visconti

Fireworks and hurricanes

Modern Times von Charlie Chaplin

Bilder des Bedauerns. Ich hätte besser sehen können. Ich bedauere nicht, dass sie gehen. Ich bedauere, dass ich sie nie gesehen habe, nicht so geküsst wie ich sie küssen wollten, nicht so gekannt wie ich wollte. Warum drehen sie sich nicht noch einmal um? Ich wollte nie mehr blinzeln. E.E. Cummings,

or if your wish be to close me, i and
my life will shut very beautifully,suddenly,
as when the heart of this flower imagines
the snow carefully everywhere descending;

Out of the Past von Jacques Tourneur

I vitelloni von Federico Fellini

Warum tanze ich auf dem Gedächtnis von Geistern? Im Sonnenuntergang, jemand spielt ganz zufrieden eine Violine, Boccherini, ich sitze auf einer Veranda, es ist warm genug und ich kann einmal den Zweifel vergessen, die Angst, weil ich begreife, dass ich keine Bedeutung habe.

Ich werde irgendwann aufstehen. Die Lichter gehen an. Sie sollten nicht. Ich werde eine Jacke tragen und den anderen Zeitmenschen aus dem Kino folgen. Ich werde der Leinwand den Rücken kehren, sie kann meine zuckenden Schultern sehen, meine echten Füße, die den Boden noch nicht berühren können. Man kann mich noch eine ganze Weile sehen. Dann werde ich zu einem Punkt in einer Landschaft. Nur mein Blick ist geblieben. Bis auch er stirbt.

I’m not here, This isn’t happening, I’m not here, I’m not here

Ladri di biciclette von Vittorio De Sica

The Searchers von John Ford

We’re gonna live forever,

Locarno-Tagebuch: Tag 5: In love with Agnès Varda

Agnès, mon amour

Die liebe, kleine, große, alte Dame Agnès Varda beeindruckt mich mit jedem Film ein wenig mehr. Selbst in ihren fiktionalen Werken zeigt sich ihr dokumentarisches Auge fürs Alltägliche. Schöne Beispiele dafür finden sich in Sans toit ni loi, dem Gewinner des Goldenen Löwen von 1985, in dem sie mehrmals auf Inszenierungsmittel zurückgreift, die man eher aus dem Dokumentarfilm kennt (z.B. Interviews mit „Zeugen“) und in dem sie immer wieder mit der Kamera auf Orten und Plätzen verharrt, die unmöglich aus den Händen eines Szenenbildners stammen können. Sans toit ni loi fügte sich auch wunderbar in mein restliches Tagesprogramm ein, denn für einen depressiven Start in den Tag sorgte der Wettbewerbsbeitrag L’Abri des in Tangiers geborenen und in der Schweiz arbeitenden Filmemachers Fernand Melgar. L’Abri ist ein Dokumentarfilm, der Geschichte(n) rund um ein Obdachlosenasyl in Lausanne erzählt. Weder zu polemisch, noch zu objektiv nähert sich Melgar dieser diffizilen Materie. Weder verflucht er die Verantwortlichen oder die mittellosen Immigranten, noch glorifiziert er die Mitarbeiter der Hilfsorganisation oder die kälteleidenden, bettelnden Obdachlosen. Trotz seiner sozialpolitischen Sprengkraft wird der Film so nicht zu einer rein inhaltlichen Übung, sondern bleibt durch die menschliche Nähe, die Melgar zu beiden Seiten aufbaut, ein Film. L’Abri ist ein legitimer Nachfolger der Direct Cinema-Bewegung, indem er es schafft ohne Kommentar oder übermäßigen Einsatz von Zwischentiteln, eine dramaturgisch durchstrukturierte „Geschichte“ zu erzählen.

Sans toit ni loi

Was gibt’s sonst noch Neues? Einen erstmaligen Besuch beim Concorso Cineasti del presente, dem Wettbewerb für Debut- und Zweitfilme junger Filmemacher. Songs of the North von Soon-mi Yoo ist in erster Linie wegen seiner Entstehungsgeschichte interessant. Der Film wurde nämlich (illegal) in Nordkorea gedreht, ein Film über ein Land, zu dem der (Süd-)Koreanerin jahrelang der Zugang verwehrt worden ist, wie sie gleich zu Anfang in einem Zwischentitel festhält. Der Film hätte Agnès Varda Stolz gemacht: Gefilmt mit eher mittelmäßigen Kameras, teils versteckt, kombiniert mit Archivmaterialien und Ausschnitten aus nordkoreanischen Propagandafilmen. Das Ergebnis ist, wenn man mich fragt, zwar eher relevant und interessant, als „gut“, aber alles in allem wiegt hier die Faszination für das Artefakt an sich, die Mängel der filmischen Form auf. Darüber hinaus, und weil auch das hier immer wieder thematisiert wird, ein genuin digitales Werk, das auf 35mm, oder selbst auf 16mm, schlicht nicht machbar gewesen wäre.

Nordkoreanische Schneelandschaft in

Songs of the North

Außerdem habe ich mir Original-Schweizerschokolade gegönnt (CHF 5,85). Mjam, mjam.

PS: Cineteca di Bologna-Restauration eines Antonioni-Films auf großer Leinwand, mi piace.

Enemy von Denis Villeneuve

In “Enemy” von Denis Villeneuve, eine Adaption von José Saramagos „Der Doppelgänger“ entdeckt der Geschichtsprofessor Adam (Jake Gyllenhaal) in einem Film einen Mann, der genau aussieht wie er selbst. Er beginnt den Mann (einen Schauspieler) zu kontaktieren und von da an brechen die Welten und Ebenen des Films in David Lynch-Manier auseinander. Normalerweise weisen Doppelgänger in Filmen immer auf ein twistgeladenes Kino samt SciFi-Elementen, Schizophrenie oder Albträumen hin. Doch Villeneuve, der bislang häufig mit solchen Twists aufwartete (die doch nicht verstorbene Frau in „Polytechnique“, der Oldboy-Moment in „Incendies“ und die Frage des Täters in „Prisoners“), hat nicht nur einen Genrefilm gemacht, sondern zugleich einen Film über das Genre. Der Twist, der die Ebenen in „Enemy“ in der letzten Einstellung des Films verbindet, ist zugleich eine Frage. Er dreht sich einmal um sich selbst und bleibt damit bei sich und dem Film, statt sich zu erklären. Was dann bleibt, ist ein sogenannter Mindfuck, der nie aufhört. Oder?

Enemy2

Wie meist bei Villeneuve zielt auch „Enemy“ vor allem auf die inneren Organe des Zusehers: Angst, Schock, Verwirrung, Spannung, Staunen, Erotik. Der Regisseur entblößt eine Fantasie. Damit meine ich einen Einfall des Unerwarteten, der sich natürlich schon durch den Auftritt eines Doppelgängers manifestiert. Dabei hilft sich Villeneuve wie schon in „Polytechnique“ mit extrem harten Schnitten, die wie ein Knallkörper in die Ruhe einbrechen und die oft noch durch Musik- oder Soundeffekte verstärkt werden. Außerdem ist jederzeit alles möglich. Das haben wir schon in „Prisoners“ festgestellt als plötzlich Schlangen aus Kisten sprangen. Dazu gibt es einen aufregenden Look, der manchmal etwas zu laut cool sein möchte, aber es prinzipiell schafft das Unheimliche und Fiebrige in einen Stil zu transformieren. Luftaufnahmen aus Hubschraubern, die mit einem zärtlichen Vertigo-Effekt Schwindel erzeugen und Gebäude verformen, ein treibender Score und alles ist wie durch eine gelbe Sonnenbrille gefilmt, eine Schwüle setzt ein, die äußere und innere Welten wie ein Gefängnis erscheinen lässt. Spiegel und Fenster, nackte Körper und Insekten in engen verschachtelten Wohnungen in Wohnblocks, in denen jedes Fenster gleich aussieht. Villeneuve ist im wahrsten Sinne des Wortes ein visueller Geschichtenerzähler. Seine Bilder werden selbst zu Doppelgängern und nach und nach werden wir in einen Zustand versetzt, der jenem von Adam (oder seinem Doppelgänger) gleicht. Die Welt scheint uns verdächtig.

Beide Männer befinden sich in unglücklichen Beziehungen und natürlich könnte man nun beginnen eine psychologische Interpretation anzulegen, die sich von Mutterkomplexen, über Impotenz, hin zu Einsamkeit, Selbstverliebtheit und Selbstzensur ziehen könnte. Die Entfremdung in einer Beziehung während der Schwangerschaft der Frau ist ein offensichtliches Thema. Wahrscheinlich ist auch alles richtig. Aber genauso wahrscheinlich geht es hier einfach um Angst. Die sinnliche Wirkung des Films, die mit jedem Bild und jeder Kamerafahrt, jedem Satz und jedem Ton angereichert wird, entgleitet der ansonsten etwas gewollten Dramaturgie und erzeugt einen Zustand durchgehender Spannung. Der Film fühlt sich an seinen besten Stellen so an als wäre Franz Kafka hinter der Kamera gestanden.
In seinem Gedicht „La nuit de décembre“ erzählt Alfred de Musset von einer Begegnung zwischen zwei sich ähnlich sehenden Menschen:

Du temps que j’étais écolier,
Je restais un soir à veiller
Dans notre salle solitaire.
Devant ma table vint s’asseoir
Un pauvre enfant vêtu de noir,
Qui me ressemblait comme un frère.

(…)

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Dieser Augenblick, wenn man sich selbst in einem anderen sieht, scheint wie für das Kino gemacht. Es ist ein plötzlicher Moment, der in die Zeit einbricht und sich in Blicken offenbart. Da ist zum einen unser Blick auf die Figuren, die wir nicht mehr unterscheiden können (und Villeneuve spielt mit dieser Tatsache…) und zum anderen der Blick zwischen den Figuren, die es nicht fassen können oder fasziniert sind. Eine Angst und ein Begehren setzen ein. Denkt man beispielsweise an „Professione:reporter“ von Michelangelo Antonioni, so legt die Existenz eines Doppelgängers auch die Flucht aus dem eigenen Leben nahe. Ich bin Du und du bist Ich. Etwas Derartiges passiert auch in „Enemy“. Da der Doppelgänger hierbei aber aus einem Film stammt, ist es auch ein Film über Eskapismus. Man schaut zu wie man sich in einer Welt verliert, während man sich in einer Welt verliert. Die Doppelung des Schauspielers wird hier durch den erneut großartig spielenden Jake Gyllenhaal nochmal gedoppelt. Denn nicht nur spielt er zwei Menschen, die gleich sind, sondern er SPIELT auch einen Schauspieler.

Das Kino ist ein Ort der Anonymität bei Villeneuve. Es sind die dunklen Sonnenbrillen, die fragwürdigen Identitäten, die Rätsel, die ihn faszinieren. In „Enemy“ formuliert er eine Liebeserklärung an diese Fragen, indem er sie nicht beantwortet. Allerdings bleibt ein kleiner fader Beigeschmack, denn all diese Fragen sind in sich schon Antworten und der Film gibt sich nie wirklich seinem Fiebertraum hin, da er immerzu sagt: Das ist ein Fiebertraum. Gleiches gilt für den Twist am Ende, der zwar erneute Fragen stellt, aber irgendwie auch alles beantwortet. Ich würde gerne nicht verstehen, warum ich etwas nicht verstehe, aber vielleicht ist das zu viel verlangt. Es tut jedenfalls gut, klassische Spannung im Kino zu sehen.

Tsai Ming-liang Retro: Rebels of the Neon God

“Rebels of the Neon God” ist ein Kleinganoven Neonlicht-Märchen, das die Geschichte um Tsai Ming-liangs Antoine Doinel, Lee Kang-shen/Hsaio-kang weiter treibt und dabei einen jugendhaften Charme irgendwo zwischen Martin Scorsese und „Chungking Express“ von Wong Kar-wai versprüht. Die Auseinandersetzung mit einer entfremdeten Jugend markiert den ersten Schritt des Regisseurs hin zu einem sinnlichen Formalismus, der seine späteren Werke prägen wird. Fast als ein Portrait der Jugend an sich mag man dieses ziellose Herumhängen zwischen den Spielautomaten (Neon Gods) betrachten, eine Gleichgültigkeit entfaltet sich, die Hsiao-kang dazu verleitet einen etwa gleichaltrigen Rebell zu stalken. Das alles führt in Gewalt. Es ist daher auch keine Besonderheit, dass Lee Kang-sheng in einem Bild, vor einem Poster von James Dean zu sehen ist. Zwar hat Nick Pinkerton, als er die Nicholas Ray Züge bei Tsai Ming-liang unter die Lupe nahm zurecht davon gesprochen, dass Hsiao-kang mehr dem Sal Mineo Charakter aus „Rebel without a cause“ entspricht als jenem von Dean, aber dennoch trifft der Kern des Films jenes leidende durch das Leben Torkeln, für das James Dean noch heute steht.

So hängen die Zigaretten aus den offenen Mündern, die Lederjacken werden zurechtgerückt und Blicke voller Neugier, Scham und Verachtung werden geworfen. Der Regisseur selbst betrachtet seine Figuren aber als Humanist und damit geht er auf derselben Linie wie sein offensichtliches Vorbild François Truffaut. Er umarmt die Schwächen und Brutalitäten seiner Figuren, er blickt auf ein Außenseiterdasein als Sympathisant. Die Vergleiche, die zwischen Tsai Ming-liang und Michelangelo Antonioni (auch von mir) bemüht werden, sind daher größtenteils haltlos. Denn dort wo Antonioni den Blick seiner Figuren übernimmt, ihre Entfremdung als Teil seiner filmischen und ihrer Weltsicht umsetzt und die Bilder als innere Bilder (fast gleich eines durchgehenden POVs) seiner Figuren auf die Leinwand malt, da ist Tsai Ming-liang ein dritter Beobachter von menschlichen Umgebungen, der portraitiert statt eindringt und dessen Entfremdung nie in seinen Bildern von Menschen ankommt, da dort immer Sinnlichkeit und Gefühl herrscht. Einzig in der fremden Architektur finden sich Parallelen, allerdings ist der Blick von Tsai Ming-liang auf seine Stadt immer ein allgemeiner, während der von Antonioni von seinen spezifischen Figuren ausgeht.Das bedeutet nicht, dass die städtische Entfremdung bei Tsai Ming-liang nicht auch von seinen Charakteren erlebt wird. Allerdings schreibt er in seine Filme das Bild einer Entfremdung auf der Haut seiner Figuren ein, während Antonioni die nackte Entfremdung zeigt.

Rebels of the Neon God

Auffällig ist, dass es ein komponiertes musikalisches Thema gibt. Verwendet Tsai Ming-liang sonst gar keine („The River“), diegetische („I don’t want to sleep alone“) oder verfremdete („The Hole“) Musik, so probiert er sich hier an einem klassischen Stimmungsscore. Dieser trägt viel zur Neon-Fuck-You Stimmung dieser Pop-Poesie bei. Sein Drehbuch wirkt deutlich forcierter. Die Szenen sind alle wie ein Teil einer großen Idee, fast ein moralischer Impetus unterliegt dem Märchen voller Kleinkriminalität. Die Ellipsen anderer Filme des Regisseurs gibt es hier kaum. Einzig in der Beziehung zu seinen Eltern, die ja über zahlreiche Filme weiter erforscht wird, findet er zu der Tiefe, die man von ihm gewohnt ist. Die Eltern selbst leben in einer Mischung aus Wut, Angst, Verzweiflung und Zuneigung zu ihrem Sohn. Wie auch in „The River“ und „What time is it there?” wird der buddhistische Glaube in ein absurdes Extrem geführt. Diesmal glaubt die Mutter, dass ihr Sohn ein wiedergeborener Prinz ist. In einer stillen Autofahrt mit Vater und Sohn wird eine Nähe erzählt, die mit Worten nicht möglich wäre.

Zwischen alldem leuchten die Neonlichter und poetische Scooterboys driften durch urbane Gassen, das Wasser hängt in der feuchten Luft, dringt selbstverständlich auch in Wohnungen ein, fast losgelöst vom Leben bewegt sich hier eine Ästhetik durch eine Welt, die frisch und jugendlich wirkt, aber schon jene melancholischen Narben verzeichnet, die sich immer tiefer in die Wahrnehmung von Tsai Ming-liang einprägen werden. Seine Perspektivwechsel tragen die Atmosphäre auf höhere Ebenen. So bleibt er eine Weile bei der jungen Frau, die eine Beziehung zum Kleinganoven hat. Sie arbeitet an einer Eislaufstrecke, wirkt ziellos und ein wenig nymphoman. Bei ihr vollzieht sich die jugendliche Irritation in einer sexuellen Lust, die sich durch den ganzen Film zieht. Bei Hsiao-kang ist diese Lust selbst bezüglich des Geschlechts unentschieden. Es ist eine Neugier in diesem Film, die abgelassen werden muss und dazu werden unterschiedlichste Kanäle gefunden. Keiner aber führt zu Glück oder Erfüllung. „Rebels of the Neon God“ lässt einen dieses Verlangen nachempfinden, weil er sich nicht über seine jugendlichen Protagonisten stellt, sondern mit ihnen schwimmt.